Gaustatoppen!

5 07 2011

Für diesen Tag hatte ich mir zwei Dinge vorgenommen: Besteigung des Gaustatopp und Bungeespringen. Letzteres musste ich wegen Zeitmangel ausfallen lassen. Es hätte vielleicht geklappt, wenn ich noch früher aufgestanden wäre. Aber was soll’s: Ist sowieso ein teurer und zweifelhafter Spaß. Ein Basejumper aus Kalifornien meinte dazu: „Bungee Jumping is scary. No control. With base jumping, I know that if I fuck up, I’m dead. With Bungee jumping, my life depends on some other guy.“ Das sagt jemand, der von 1000 m hohen Klippen springt.

Was ist der Gaustatopp? Ein Berg über 1800 m mitten in einer Region, wo kaum ein Berg über 1200 m hoch ist. Er wird oft als Norwegens schönster Berg bezeichnet. Ich finde ihn häßlich. Ein Haufen Schotter, der die Landschaft drumrum verschandelt wie eine umgedrehte Kiesgrube. Schön ist allenfalls die Aussicht vom Gipfel. Bei passendem Wetter soll man 1/7 des Landes sehen können. Ein typisches Postkartenmotiv ist der Gausta vor einer Herbstlandschaft und einem See in der Abendsonne. Ein solches Bild hängt in meinem Zimmer. Das Bild bezeichne ich als schön, aber ohne den Berg wäre es wahrscheinlich schöner. Es erinnert ein wenig an Postkartenfotos von Teneriffa. Nur hat der schwarze Kegel des Teide durch seinen Status als Vulkan gewissermaßen eine Lizenz zum Häßlichsein.

Der Gausta ist aber kein Vulkan. Gerade das macht ihn für Geologen interessant, denn jeder fragt sich natürlich als erstes, was dieser 1883 m hohe Haufen Schotter hier zu suchen hat. Die Antwort ist einfach: Er war einfach härter als das Gestein rundrum und wurde vom eiszeitlichen Gletscher stehengelassen. Sein Gipfel ragte als Nunatak aus dem Eis. Seine Gestalt als Schotterhaufen verdankt er dem Wirken der Frostsprengung. Weiterhin gibt es Spuren, die vermuten lassen, dass der Gausta früher unter dem Meeresspiegel gelegen hat. Das zeigen Wellenartige Muster in den Felsen in der Nähe des Gipfels. Fossilien wurden scheinbar nicht gefunden. Zumindest berichten die Infotafeln nichts davon. Es ist also kein Wunder, dass der Gausta zuerst von einem Geologen bestiegen wurde. Ein Botaniker war auch dabei. Der wird enttäuscht gewesen sein, denn da oben wächst nichts. Zum 200jährigen Jubileum der Erstbesteigung wurde eine Steinpyramide mit einer Tafel aufgestellt. Die Pyramide besteht aus Steinen, die von verschiedenen Kommunen in ganz Norwegen gestiftet wurden, und ist daher ein bunter Mix aus Gesteinen. So ist sichergestellt, dass auch Geologen in einigen tausend Jahren etwas zu rätseln haben.

Normalerweise fährt man von Rjukan aus 16 km zu einem Parkplatz. Von da aus ist der Gaustatopp eine 4-Stunden-Wanderung. Der Norweger in Haukeliseter meinte, man kann auch direkt in der Stadt losgehen. Hinter den Bahngleisen führt tatsächlich ein T-markierter steiler Waldpfad den Südhang des Vestfjorddalen hinauf. Habe ich schon erwähnt, dass Rjukan in einem tiefen Loch liegt? Den Weg nenne ich den „Kurzen“, aufgrund von Kundheitserinnerungen. Er führt zwischen Bäumen, Felsen, Stromleitungen und Wasserfällen steil und in Serpentinen keinesfalls auf den Berg, sondern nur aus dem Tal heraus. Man ist dann am Fuß des Gausta, darf noch ca. 5 km durch Sumpf und Kuhmist und an Seen entlang durch das Gausdalen laufen und dann über Geröll und Felsen aufsteigen.

Das Wetter: grau in grau und Nieselregen. Der Weg: schlammig und nass. Verlaufen hätte ich mich auch fast. Ich kam an eine Almhütte, wo man mir den richrigen Weg zeigen konnte: Erst mal zurück. Vor dem Gatter saß eine Kuh, also musste ich über den Zaun schreien.

Irgendwo im Wald am Fuß des Gausta sah ich meinen zweiten Lemming in diesem Jahr. Diesmal lebend. Er huschte sofort unter ein Gewirr aus morschen Baumstämmen und Felsen. Ich klopfte ein wenig mit den Wanderstöcken drauf rum, um ihn vor meine Kamera zu scheuchen. Lemminge können sehr aggressiv und damit auch fotogen sein. Aber dieser hier ließ sich nicht beirren. Im Gegensatz zu seinem toten Kollegen in der Hardangervidda wusste er wohl, wo sein Platz in der Nahrungskette ist und verhielt sich entsprechend.

Der Gaustatoppen selbst lag vom Fuß bis zum Gipfel im Nebel. Die ganze Zeit hatte ich keine Ahnung wie hoch ich war und wie weit es noch war. Ich stieg einfach immer höher über einen scheinbar endlosen Pfad durch Nebel und Geröll. Die Regenklamotten konnte ich mir schenken. Oben rum war mir der leichte Regen als Abkühlung willkommen, und meine Hose war bis zum Knie nass und dreckig, nicht von Regen, sondern von Sumpf, Bächen und nassem Gestrüpp, sodass die Regenhose sinnlos war.

Vor dem Gipfel kommt man erst an einen hässlichen Betonbunker, der innen eine gemütliche DNT-Hütte ist, wo es Waffeln und Getränke gibt. Bei diesem Wetter in dieser Steinwüste wie eine Oase. Dann erreicht man eine Betonplattform, auf der ein Sendemast steht. Dort traf ich eine Gruppe Deutsche mit einer hyperaktiven, euphorischrn Frau (20-30), die erstmal will, dass ich ein Foto von den dreien schieße, wie sie auf dem Beton vor dem weißen Nichts sitzen. Dann fragt sie noch ihre Kollegen, ob sie Lust auf Rockrolling hätten. Das hätte sie in Jotunheimen gemacht, und es hätte viel Spaß gemacht. Wie ich in Erfahrung bringen kann besteht dieser „Sport“ im Grunde darin, dass man große Steine den Berg runterwirft, am besten auf andere große Steine. Ich denke an den Aufstieg und die großen Wackelfelsen über mir und bin dankbar, dass gerade niemand Lust auf Rockrolling gehabt hatte, als ich unterwegs war. Aber vielleicht ist meine Einstellung einfach zu negativ. Meine Großeltern haben mir noch beigebracht, dass man im Gebirge keine Steine wirft oder rollen läßt, egal wie groß, egal ob man jemanden sieht, den man treffen kann. Aber solch uncoole starre Regeln stammen aus einer anderen Zeit, lange vor Outdoorshops, Jack Wolfskin Stores, Basejumping, Bouldering, Ultralite Trekking und Rockrolling. Damals waren die Berge noch schwarzweiß, und die Turnschuhbreissen hat man zur Wolpertingerjagd geschickt, damit sie bei sich und anderen keinen Schaden anrichten. Oder so.

Schließlich kommen zwei Norweger (ein junges Pärchen, in Turnschuhen) auf die Betonplattform und fragen, wo es denn zum Gipfel ginge, der ja noch 30 Minuten entfernt sein sollte. Ich sage, ich habe keine Ahnung. Man sieht ja nichts. Gemeinsam finden wir dann doch einen T-markierten Weg, von dem Leute kommen. Etwa 30 Minuten sind es zum Gipfel, mit „en del klatring“, berichtet man uns. Ich beschließe den drei Deutschen nichts zu sagen. Wir machen uns auf den Weg zum Gipfel. Vor uns sind noch zwei Dänen (? Sie reden jedenfalls Englisch mit den Norwegern und sprechen irgendeine nordische Sprache, die ich kaum verstehe. Keine Isländer, den Akzent kenne ich). Der Weg führt über einen schmalen Grat aus Felsblöcken. Es ist nicht ausgesetzt (sieht nur im Nebel teils so aus), aber ohne Hände kommt man nicht weit. Ich klettere einhändig wegen meinen lästigen Wanderstöcken. Emdlich erreichen wir den Gipfel: ein abgespannter Holzpflock (kein Kreuz – wir sind hier nicht in Bayern). Mehr gibt es nicht zu sehen. Rundrum ist alles weiß. Wie am Kjerag, nur weniger spektakulär.

Beim Abstieg kam dann auf einmal die Sonne raus. Leider zu spät, so dass von der grandiosen Aussicht nicht mehr viel blieb. Der Gipfel war bis zuletzt in Wolken, nur den Sendeturm konnte man später kurz sehen. Ich stieg auf der Ostseite ab, also richtung Parkplatz. Mein Plan: Entweder am Fuß des Berges (und am Rand des Vestfjordtals) entlang und dann den gleichen Weg zurück nach Rjukan, oder an der Straße entlang und trampen. Trotz Sonnenschein sah ich dunkle Wolken über den Berg kommen. Die kamen zwar nie an, aber das konnte ich nicht wissen. Der Fußweg nach Rjukan hätte locker weitere 3 Stubden gedauert, davon das letzte Stück steil bergab. Für die Knie so schon schlimm genug, bei eventuellem Regen lebensgefährlich. Ich entschied mich für die Straße.

Wenn es um Anhalter geht, hört die norwegische Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft und Geselligkeit offenbar auf. Bisher wurde ich fast immer nur von Deutschen Urlaubern mitgenommen, oft sogar ohne darum zu bitten. Entweder das, oder Norweger brettern einfach gerne mit Vollgas Passstraßen runter und halten ungern an, auch wenn genug Platz ist. Diesmal hat ein deutscher Auswanderer aus Østfold mich nach Rjuksn gefahren, obwohl es für ihn ein Umweg war. Die Stelle war taktisch günstig auf einem Ausweichplatz nach einer S-Kurve, wo alle langsam fahren mußten, weil ein Wohnmobil scheinbar in der Kurve hängengeblieben war. Wir unterhielten uns über Jobsuche und anderes Zeugs.

Im Hostel kehrt langsam Leben ein. Die Sonne scheint immer noch. Ich hätte die Rundtour zu Ende gehen sollen.

Insgesamt war ich 9 Stunden unterwegs. Die Tour muss ich irgendwann bei gutem Wetter wiederholen.

Mein Bedarf an Bergsteigen ist vorerst gedeckt. Morgen geht es nach Oslo, dann in den Norden. Dann bin ich endlich frei von Vorausbuchungen. Ich glaube, ich fahre direkt nach Narvik…

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Frokost? Frühstück!

5 07 2011

Ich vergaß zu erzählen, dass ich gestern Dolmetscher für einen deutschen Backpacker spielen musste. Der ist auch 2 Monate in Norwegen unterwegs. Mit dem Fahrrad. Auch nicht schlecht. Nachdem ich schon das ganze Saarland durchradelt habe, würde ich mir das fast zutrauen. Außderdem hätten sich viele Probleme in Sachen Mobilität, Unterkunft und Budget damit erledigt.

Campingplätze und Hütten außerhalb von Ortschaften an Landstraßen sind oft billiger. Und es gibt sie hier wie Sand am Meer.

Auto? Bei den Straßen? Ich bin doch nicht lebensmüde…