Gletscher, Pfannkuchen und Katzenbuckel

14 08 2011

Vorgestern DER Fjord, gestern DIE Jugendstilstadt, heute DER Gletscher. Mir scheint, ich sammle an den letzten Tagen noch so viele Hauptsehenswürdigkeiten wie möglich. Das merke ich auch an der Anzahl Rucksäcke, die im gleichen Bus reisen und an der Vielfalt an Sprachen, die deren Träger sprechen. Wenigstens habe ich durchgehend gutes Wetter. Hier an der Westküste ist das nicht selbstverständlich.

Im Gegenteil: Dem Niederschlagsreichtum dieser Region ist es zu verdanken, dass hier die größte Eiskappe auf dem europäischen Festland entstehen konnte: Der Jostedalsbreen. Er bedeckt einen ganzen Gebirgszug zwischen Nordfjord und Songnefjord. In den Tälern sieht man ihn nur andeutungsweise durch seine vielen Gletscherzungen, die alle verschiedene Namen haben. Die bekanntesten sind wohl Nigardsbreen (die größte Gletscherzunge), Austerdalsbreen (drei einzelne Gletscher, die nach den nordischen Göttern Odin, Thor und Loki benannt sind) und Briksdalbreen, der in einer tiefen Schlucht „hängt“ und dessen Ende nur 350 m über dem Meeresspiegel liegt.

Von Ålesund aus fahre ich mit dem Bus nach Stryn. Diese Linie fährt durch Hellesylt, einen Touristenumschlagplatz, wo der Bus fast alle seine Passagiere mit der Fähre nach Geiranger tauscht. In Stryn verteilt sich die Masse der Rucksäcke und Rollkoffer auf zwei Busse in Richtung Oslo und Bergen. Ich staune nicht schlecht, als ich in Olden als einziger aussteige und den Bus nach Briksdal nehme.

Auf dem Campingplatz Melkevoll Bretun baue ich mein Zelt auf. Der liegt ganz hinten im Oldedalen, unter dem Melkevoll-Gletscher, mit Blick auf den Briksdalbreen, den man zufuß in 45 Minuten erreichen kann. Hier bleibe ich zwei Nächte. Der Platz hat alles, was man sich wünschen kann, dazu eine Holzhütze mit gemeinschaftlicher Feuerstelle und kostenlose Sauna. Nur leider wenig Sonne. Wer von Wasserfällen auf Dauer einen Tinitus bekommt, wird hier auch nicht gut schlafen. Ich habe damit kein Problem, zumal es hier auch auf allen Seiten rauscht, also nicht nur auf einem Ohr.

Gleich nach der Ankunft sehe ich mir den Gletscher an. Wenn man zwei Stunden einplant, hat man reichlich Zeit zum Fotografieren, Staunen, Steine suchen, oder was man noch so vor hat. Für die Fußkranken gibt es einen Shuttleservice (Trollbil) bis zur Nationalparkgrenze. Überhaupt: Der Weg ist so gut ausgebaut, dass auch Ommmas es mit jedem beliebigen Schuhwerk bis zum Gletschersee schaffen, ohne sich was zu brechen.

Weit vor dem Gletscher ist eine Abspeerung mit Warnschildern wegen Stein- und Eisschlag. Weitergehen auf eigene Gefahr (als ob das für den Weg bis zur Absperrung nicht gilt…). Wie zur Bestätigung der Warnung löst sich mit lautem Donnern ein Eisblock weit oben auf der Gletscherzunge und zerbröselt in kleinere Brocken, die es jedoch nicht bis ganz unten schaffen. Dennoch hat sich am Fuß des Gletschers eine Halde aus kleinen Eisklumpen gebildet.

Der Gletscher ist neuerdings zweigeteilt. Das kann man von unten nicht sehen, denn die Nahtstelle (mit Wasserfall) ist von einem großen blauen Eisturm verdeckt. Am unteren Ende des oberen Teils sieht man riesige Eiszinnen mit einer immer größeren Spalte in der Mitte. Die werden früher oder später runterkommen, vielleicht ein paar vorwitzige Touristen unter sich begraben, die unbedingt einen kleinen Eisblock als Souvenir mitnehmen müssen, und vielleicht einen kleinen Tsunami auf dem See auslösen. Besonders Eindrucksvoll sieht man dieses drohende Unheil vom Weg auf den Kattenakken. Überhaupt: Erst, wenn man den Gletscher von oben sieht, und davor die wuselnden Ameisen mit ihren Spiegelreflexkameras, Badeschlappen und Souvenirladenwollmützen, wird einem bewusst wie groß dieser Gletscher ist, und man bekommt etwas Respekt. Auch vor dem Eisengitter und den Warntafeln.

Aber das war am Tag darauf. Am ersten Abend bin ich auch über die Absperrung geklettert. Schon die Felswand über dem Weg zum Gletscher war mir nicht geheuer. Weder die Massen an heruntergefallenem Gestein, noch der deutliche Riss in der Wand und der helle Fleck, aus dem wohl erst vor kurzem ein großes Stück herausgebrochen sein musste. Hat man die Halde passiert, steht man erst mal unter einer überhängenden Masse aus solidem glatten Stein, die die Sicht auf das Eis ganz versperrt. Wenn es oben donnert, hat man also keine Ahnung ob und in welche Richung man davonlaufen sollte. Dann irgendwann steht man vor einer Eishöhle, aus der ein Bach in den See fließt. Darin blaues, tropfendes Eis. Schon in mehreren Metern Entfernung spürt man einen eiskalten Hauch. Hier kann man zusehen, wie das Wasser unter dem Gletscher hindurch fließt, wie das Eis schmilzt, und wie doofe Touriste mit ihren Badeschlappen auf die Fresse fallen.

Drei oder viermal rumpelt es über mir, und einmal schaffe ich es, eine Eislawine zu filmen. Danach hatte ich genug gesehen und ging zurück zur Absperrung und dann zum Campingplatz. Dort mache ich mir etwas zu Essen, setze mich ein wenig ans Feuer, sehe mir dem Platz vom Aussichtspunkt an und gehe schlafen.

Die Nacht ist dunkel, und nur im Norden über dem Ausgang des Tals ist ein Stück Dämmerung zu sehen. Es ist „angenehm kalt“, so dass man im Schlafsack weder schwitzt noch friert.

Am nächsten Morgen ist das Zelt nass, wahrscheinlich Tau, und dank einer schattenspendenden Birke wird es erst um die Mittagszeit wieder trocken. Ich entschließe mich, endlich die Packung Fertigpfankuchen zu vernichten, die ich seit Wochen mit mit rumschleppe. Auf die Küche habe ich keinen Bock, und ich baue den Trangia auf. Ein solches Experiment mit leerem Magen kann einfach nicht gut gehen…

Zunächst mal sorgte das Gefälle dafür, dass die ganze Teigpampe auf eine Seite der Pfanne lief. Dann war die Hitzeverteilung leider nicht wie erhofft. Nur in der Mitte der Pfanne fing der Teig irgendwann an zu blubbern. Ich musste also die Pfanne selbst halten und dauernd im Kreis schwenken. Das Ergebnis waren ein immer heißer werdender Griff und schwarze Finger. Ich sah nachher aus wie ein Kaminkehrer, nicht wie ein Koch. Den ersten Pfannkuchen versuchte ich so zu backen wie zu hause: Dünn. Das Ergebnis konnte man bestenfalls als Rohmaterial für Pfannkuchensuppe verwenden. Der zweite war nach einer Ewigkeit so weit, dass man ihn wenden konnte. Und das klappte auch. Eine Ewigkeit später konnte ich ihn von der Pfanne pfriemeln. Es war der häßlichste Pfannkuchen, den man sich vorstellen kann, aber er war genießbar. Er schmeckte so wie die Pfannkuchen auf der Fähre nach Valldal: Fad. Danach durfte ich den Ruß von der Pfanne kratzen, denn die Unterseite der Pfanne ist die Oberseite der verpackten Kochers. Ist sie verrußt, wird im Rucksack alles schwarz. Deshalb sollte man für den Kocher eigentlich eine Plastiktüte dabei haben.

Ich wußte schon ungefähr, was ich an diesem zweiten Tag machen würde. Es reichte mir nicht, zu wissen, dass irgendwo über diesen Felswänden, die das Tal umschlossen, die größte Eiskappe auf dem europäischen Festland lag. Ich wollte sie sehen. Dazu musste ich auf einen hohen Berg steigen. Der Kattenakken bietet sich als 4-Stunden-Tour an.

Den Einstieg findet man an der zweiten Brücke auf dem Weg zum Briksdalbreen. Dort steht ein Schild, man kann ihn also nicht verfehlen. Außer mir war dort niemand unterwegs. Hier fahren keine Trollbiler, und für Ommmas und wandelnde Anzüge in Lackschuhen ist dieser Weg auch nicht geeignet.

Der Weg zum Kattenakken führt zunächst eben am Fluss entlang durch Sumpf und Birkenwald. Dann darf man ein bißchen über Gletscherschliff laufen, mit Steinmänchen als Markierungen, bevor ein langer und steiler Aufstieg durch Birkenwald beginnt. Links rauscht ständig ein hoher Wasserfall, und man bekommt den Briksdalbreen aus immer neueren Blickwinkeln zu sehen. Unten am See wuseln die Touristen, die schließlich zu Ameisen, dann zu Punkten werden, bis man sie nur noch mit Zoom sehen kann. Auf den Umliegenden Bergen werden immer mehr Gletscher sichtbar, wie Sahnehäubchen auf den steilen, felsigen Talwänden.

Irgendwann steht man dann unter einer Felswand, und die Steigung nimmt etwas ab, während der Weg über eine schräge Terasse in Richtung Melkevolldalen führt. Man quert einen kleinen Bach und eine frische Halde aus wackeligen Steinen. Über eine schräge Platte erreicht man schließlich die Ecke des Berges, die direkt über den Campingplatz ragt.

Hier kommt eine Felspyramide in Sicht, die man vielleiht als Gipfel bezeichnen kann. Der Weg wird jetzt sehr steil, leicht ausgesetzt, und es ist etwas Rinnenklettern angesagt. Zudem hatte ich noch mit einem starken Wind zu kämpfen. Einmal kam ich dadurch fast aus dem Gleichgewicht. Die Kletterstellen werden immer schwieriger. Irgendwann, nah einer hohen Stufe, über die ich mich mit dem Händen hochziehen musste, war dann Schluss für mich: Eine ausgesetzte schräge Felsplatte ohne sichere Handgriffe, und keine Ahnung was als nächstes kommt. Darüber die Spitze der Felspyramide, leicht überhängend. Der Weg ging irgendwie links daran vorbei (nach der schrägen Platte), laut Karte eigentlich rechts, was aber unmöglich war. Ich wäre raufgeklettert, wenn mein Lebem davon abgehangen hätte. Tehnisch war es kein Problem für mich. Aber runter? Da hätte man mich mit dem Hubschrauber holen müssen.

Belohnt wurde die Kraxelei mit der Aussicht über das Oldedalen und auf den Melkevollbreen. Aber auch auf den Rückweg. Ich sah einen Hubschrauber vorbeifliegen… Aber den Abstieg schaffte ich noch mit zusammengebissenen Zähnen.

In der Kaffeteria in Briksdalen genehmigte ich mir ein spätes Mittagessen zu einem horrenden Preis. Hier ist außerdem der größte Souvenirladen, den ich bisher gesehen habe: Gefühlt mehrere hundert Quadratmeter Gartentrolle, Elchtassen, Mützen und Pullover mit der norwegishen Flage, das übliche Zeug. Ich kann’s nicht mehr sehen.

Interessant waren ein paar Infotafeln über norwegische Gletscher. Hier ein paar Fakten (ich hoffe, ich kriege sie noch zusammen). Übrigens: Hockeyschlägerkurven sucht man hier vergeblich.

Als repräsentativ für den Jostedalsbreen gilt der Nigardsbreen auf der Südseite des Gletscherplateaus.
Jostedalsbreen und Hardangerjøkulen (dort wurde Star Wars 2 – The Empire Strikes Back gefilmt) werden als maritime Gletscher mit zwei kontinentalen Hochgebirgsgletschern in Jotunheimen verglichen (Hellstugubreen und Storbreen – die sieht man beide auf meinen Fotos vom 2010).
Die maritimen Gletscher sind gewachsen, die kontinentalen zurückgegangen.
Daraus will man schließen, dass maritime Gletscher stärker auf den Klimawandel reagieren (und nicht umgekehrt!)
Als „Klimawandel“ hat man festgestellt, dass die Winter milder und niederschlagsreicher werden, bei nahezu gleichbleibender Sommertemperatur (Daten stammen von einer Station in Bergen).
Unter diesen Bedingungen sollten Gletscher wachsen, nicht zurückgehen, und genau das beobachtet man am Jostedalsbreen seit etwa 20-30 Jahren.

Der Briksdalbreen ist wohl nicht repräsentativ, denn er schmilzt seit der kleinen Eiszeit (maximum 1760) kontinuierlich ab. Sein Minimum in den letzten 100 Jahren hatte er irgendwann um 1945-50. In den 50ern ist er stark, in den 90ern ein wenig gewachsen. Jetzt geht er rapide zurück, und alle schreien natürlich „Klimawandel!“. Fakt ist, dass der Briksdalbreen ein sehr ungenaues Messgerät für Klimaveränderungen ist. Seine Reaktionszeit liegt bei 3-4 Jahren, und in den letzten 20 Jahren war sein Verhalten eher uneinheitlich und unberechenbar.

Der gesamte Jostedalsbreen war vor etwa 9000 Jahren für 3000-4000 Jahre völlig verschwunden, wie Funde von fossilem Holz belegen. Er ist also kein Relikt der Eiszeit, sondern hat sich später gebildet. Während der mittelalterlichen Warmzeit war er wesentlich kleiner, wie Ruinen von Bauernhöfen zeigen, die jetzt unter dem Eis hervor kommen. Während der kleinen Eiszeit war er so groß und so stabil, dass er als Verkehrsweg genutzt wurde und Vieh auf die andere Seite über den Gletscher getrieben wurde.

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Oben: Eishöhle am Fuß des Gletschers

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Oben: Blick auf dem Campingplatz von oben

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Oben: Zweiter Versuch … Es nimmt Gestalt an.

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Oben: Erster Versuch… für die Tonne.

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Oben: Der hässlichste Pfannkuchen der Welt.

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Oben: Einer von vielen guten Gründen, lieber mit Gas zu kochen.

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Oben: Wenn ich schon kein Reisemaskottchen habe, dann muss wenigstens mein Zelt aufs Bild. Dahinter der Briksdalbre.

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Oben: Der Weg zum Kattenakken führt über Gletscherschliff.

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Oben: Beim Aufstieg zum Kattenakken wird die Größe des Gletschers etwas deutlicher. Leider nicht auf diesem Foto, da die Menschen am Seeufer schon zu klein sind. An der „Nahtstelle“ zwischen dem oberen und unteren Teil des Gletschers kann man links einen Wasserfall erkennen.

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Oben: Wasserfall an der Seite des Tals. Nicht erkennbar: Oben ist ein weiterer Gletscher, der natürlich auch mit dem Jostedalsbre verbunden ist.

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Oben: Aufstieg zur Schulter des Kattenakken. Das letzte einfache Stück Weg.

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Oben: Briksdalbreen vom Kattenakken.

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Oben: „Gipfel“ des Kattenakken, die erwähnte „Steinpyramide“. Der Gipfel ist eigentlich ein Felsgrat, der wohl bis zum Rand des Jostedalsbre führt. Dort endet auch der Weg. Drahtseilsicherung gibt es keine. Wer nach dem Grat weitergeht, also auf den Gletscher, sollte sowieso seine eigene Sicherungsausrüstung dabei haben (und natürlich nicht alleine unterwegs sein).

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Oben: Aussicht über Oldedalen vom Kattenakken. Was man wegen der doofen Kamera leider nicht sieht: Der gesamte linke Bergkamm ist mit einem großen Gletscher bedeckt (Myklebustbreen, ist nicht mit dem Jostedalsbre verbunden, aber fast). Unten das Werk von Olden, einer norwegischen Mineralwasser-Marke. Hinten der Oldevatn. Die Straße führt links am See entland und ist sehr eng.

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Oben: Melkevollbreen. An dieser Stelle kann man zumindest den Ansatz des riesigen Plateaugletschers sehen, der hier beginnt.

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Oben: Nochmal Oldedalen. Nichts für Leute mit Höhenangst.

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Oben: Die Berge zwischen Melkevollbreen und Oldeskaret, dem Pass zum benachbarten Tal.

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Oben: Der Rückweg. Bis hier hin habe ich es geschafft. Die letzte Stufe war schon nicht mehr leicht. Links geht es senkrecht runter.

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Oben: Wasserfall unter dem Briksdalbre, mit Regenbogen. Auch wenn man auf der Straße bleibt, bekommt man auf der Brücke noch eine kalte Dusche ab. Das Wasser fließt aus dem Gletschersee, aber der Großteil kommt wohl von Wasserfällen auf der Südseite des Tals.

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Oben: Kattenakken vom Campingplatz aus gesehen.

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Oben: Der Wasserfall über dem Campingplatz. Hier kann man sehen, wie stark der Wind an diesem Tag war…



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